Werner Lintenhofer leitet beim sozialökonomischen Betrieb (SÖB) der Volkshilfe Wien den Bereich Logistik. Im Gespräch mit Nuzzes teilt er Einsichten aus einem Vierteljahrhundert SÖB-Erfahrung.
Wie lange bist du im Bereich der sozialökonomischen Betriebe tätig?
Der Einstieg war vor fast 25 Jahren. 1998 im Oktober habe ich am Standort Muthgasse begonnen. Das war der erste Second-Hand-Shop, in dem auch größere Sachen wie Möbel verkauft wurden. Davor gab es ja nur den Standort Berggasse. Shops und Transport mit vier Fahrzeugen waren damals ein Bereich. Mit den Fahrzeugen haben wir Abholungen durchgeführt, um Waren für die Shops zu bekommen.
Von wo bist du gekommen?
Ursprünglich war ich Behindertenbetreuer bei der Lebenshilfe und dann beim ÖHTB1 in einer Wohngemeinschaft. Ich bin auch gelernter Tischler und habe mich immer für alte Sachen und das Restaurieren interessiert. Im Sozialbereich in Wien kennt man sich und so wurde ich eines Tages gefragt, ob ich für die Berggasse ein Verkaufspult bauen könnte. Dieses steht heute noch dort, worauf ich sehr stolz bin. So kam ich mit dem damaligen Würfel in Berührung. Und wegen meines sozialen und handwerklichen Hintergrundes hat man mich angesprochen, ob ich die Karenzvertretung der Bereichsleiterin Shops und Transport übernehmen würde. Ich habe mir gedacht, da habe ich dann einmal ein Jahr lang keine Nachtdienste, wie in der WG, und habe zugesagt. Das war der Anfang von mittlerweile 25 Jahren.
Was würdest du aus heutiger Sicht anders machen? Deinem jüngeren Selbst raten?
Das ist schwierig. Ich bin sehr unbedarft an die Sache herangegangen und manchen Dingen sehr naiv gegenübergestanden. Da war eine Naivität im Umgang mit den Transitarbeitskräften, der Ansatz, den Menschen auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Da gab es auch viele Enttäuschungen, wo ein Entgegenkommen ausgenutzt wurde.
Ein Beispiel dazu?
Natürlich sind wir auch Arbeitgeber, gleichzeitig eine soziale Einrichtung als die wir uns um unsere Klienten-Mitarbeiter bemühen. In einem Fall haben wir einer Transitarbeitskraft eine besonders gute Leistungsbeschreibung ausgestellt, mit der sie leider direkt zum Arbeitsgericht gegangen ist und auf ein höheres Entgelt geklagt hat, weil wir sie für das von ihr Geleistete zu gering bezahlt hätten.
Wie hält man bei solchen Erfahrungen auf Dauer die eigene Hilfsbereitschaft aufrecht?
Zuerst sitzt man da und denkt sich, das passiert mir nie wieder. Aber man wird zum einen abgebrühter und zum anderen helfen solche Erfahrungen, ein Mittelmaß zu finden.
Für neu eingestiegene Schlüsselkräfte, aber auch für erfahrene ganz wichtig ist der Austausch im Team, auch laufende Supervision ist eine große Hilfe. Und die Alten lernen auch von den Jungen. Ein einfach zu beschreibendes Rezept, wie man als Schlüsselkraft erfolgreich bestehen kann, gibt es jedenfalls nicht. Auch, weil man es im Laufe der Zeit mit so unterschiedlichen Menschen zu tun bekommt, je nachdem, welche Gruppen unsere Unterstützung am Weg in den Arbeitsmarkt gerade besonders brauchen.
Welche Stärken und Fähigkeiten sollte man für die Arbeit als Arbeitsanleiter / Fachanleiter in einem SÖB mitbringen oder entwickeln?
Einerseits Empathie. Weiters sollte man in seinem Fachgebiet gut sein, schließlich geht es ja darum, jemand anderem etwas beizubringen. Unbedingt die Fähigkeit zur Reflexion; man muss in der Lage sein, über sein Handeln nachzudenken und es anzupassen. Da geht es um ein Grundmuster in der Personalentwicklung mit Transitarbeitskräften – Handlung setzen, Wirkung beobachten, reflektieren und gegebenenfalls anpassen.
Welcher Ansatz, welche Herangehensweise hat sich für dich besonders bewährt?
Ich will eine Beziehung haben, in der es möglich ist, Dinge ehrlich anzusprechen. Wo ich zum Beispiel sagen kann, dass jemandem meiner Meinung nach eine bestimmte Arbeit nicht so liegt, aber dafür eine andere. Bei Schlüsselkräften gehe ich davon aus, dass sie mit so etwas umgehen können. Bei Zielgruppenpersonen bin ich zuerst einmal der Überzeugung, dass sie etwas leisten wollen. Diejenigen Arbeitslosen, die medienwirksam am Tresen erklären, wie gern und gut sie auf Kosten der Allgemeinheit leben, sind in Wirklichkeit sehr selten. Bei uns blühen die Leute auf, wenn sie eine Leistung erbringen und dafür Anerkennung erhalten.
Gerade in der Trainingsmaßnahme, wo die Leute in der Woche maximal 15 Stunden bei uns mitmachen können, habe ich dazu sehr spannende Erfahrungen gemacht. Dabeisein, Kontakt haben, Anerkennung bekommen, etwas leisten – das motiviert, noch vor der Bezahlung.
Wie schafft man es, Betriebsführung, Personalentwicklung und Vermittlung von Zielgruppenpersonen unter einen Hut zu bringen?
Wir haben Zielsetzungen, die sich quasi gegenüberstehen. Zum Beispiel die Vollauslastung der angebotenen Plätze und die Vermittlung der Transitarbeitskräfte in den regulären Arbeitsmarkt. Ich habe da noch keine wirkliche Lösung gefunden, man priorisiert halt den Bereich, der gerade am weitesten hinterherhinkt. Die betriebliche Leistungserbringung ist meistens das geringste Problem, weil die Leute, die bei uns sind, gern arbeiten. Wobei ich in all den Jahren eine Arbeitsmarktsituation wie jetzt noch nicht erlebt habe. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist derart groß, dass auch wir uns schwertun, geeignetes Personal zu finden.
Was ist wichtiger? Vermittlung oder Eigenerlöse?
Es gibt zwischen dem Personal, das für die Vermittlung zuständig ist, und jenen, die schauen müssen, dass die Arbeit erledigt wird, einen Konflikt, der mir schon seit Jahrzehnten auf die Nerven geht. Damit ich zum Beispiel eine Wohnung zum vereinbarten Termin geräumt habe, muss ich einfach mit einplanen, dass es bei uns häufiger Ausfälle gibt als anderswo, nicht zuletzt deshalb, weil unsere Transitarbeitskräfte immer wieder Vorstellungsgespräche bei einem potentiellen nächsten Dienstgeber haben. In einem sozialökonomischen Betrieb geht es darum, Menschen zu entwickeln, Menschen zu vermitteln, und dafür muss Platz sein. Und es ist auch das Wichtigere. Aber auch unter diesen Bedingungen müssen wir als Dienstleister vertragstreu gegenüber der Kundschaft sein oder mit ständig wechselndem Personal all die Vorschriften einhalten, die uns als abfallverarbeitendem Betrieb auferlegt sind. Das ist immer wieder ein Spagat und mühsam. Dafür müssen wir aufgrund der Förderung durch das Arbeitsmarktservice unseren Betrieb nicht allein durch die Umsätze erhalten.
Zu Schluss noch paradox gefragt: Wie muss man es anstellen, damit es mit der Integration der Transitarbeitskräfte in den regulären Arbeitsmarkt sicher nicht funktioniert?
Indem man das Entgegenbringen von Wertschätzung überzieht. Dann wollen die Leute gar nicht mehr weg von uns und es ist für sie aber ja das Wichtigste, außerhalb unseres Projektes einen Arbeitsplatz zu finden, den sie dann möglichst lange behalten. Umgekehrt wird es auch dann nicht funktionieren, wenn ich zu wenig Wertschätzung vermittle, weil es ja darum geht, einen Menschen so weit aufzubauen, dass er sich woanders bewirbt.
Werner, vielen Dank für das Gespräch!
Fotos: Erich Schuster
Begriffe
Schlüsselkräfte: In SÖB (sozialökonomische Betriebe) und GBP (gemeinnützige Beschäftigungsprojekte) fix Beschäftigte wie Fachanleitungspersonal, Coaches etc.
Transitarbeitskräfte: Menschen, die nach vorheriger Arbeitslosigkeit auf befristeten (Transit-)Arbeitsplätzen in einem SÖB oder GBP beschäftigt sind. Mit dieser Arbeit einher geht ein Angebot an Unterstützung (Qualifizierung, Beratung etc.), das einen (Wieder-)Anschluss an den Arbeitsmarkt fördert.
Trainingsmaßnahme: Ein niedrigschwelliges Angebot, bei dem der Erwerb von Arbeitserfahrung im Vordergrund steht.
Zur Person
Der Familienvater Werner Lintenhofer, Jahrgang 1965, wuchs in Melk auf, mittlerweile ist er bekennender Weinviertler.
Österreichisches Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte