Den Zeitraum der Monate Juni, Juli und August nennt man auch den meteorologischen Sommer. Demnach hatte ich im heurigen, meteorologischen Sommer einen ausführlichen und in die Tiefe gehenden Schriftwechsel mit Peter Wagner, dem langjährigen Leiter des Bereichs Beschäftigung und Sachspenden der Caritas Steiermark. Ausgangspunkt war die Frage nach den vielfältigen, positiven Wirkungen sozialökonomischer Betriebe (SÖB) und gemeinnütziger Beschäftigungsprojekte (GBP) für jene Menschen, die in diesen Institutionen – meist zeitlich befristet – Arbeit in einem fördernden und unterstützenden Setting finden. Mal um mal war ich beeindruckt vom Umfang der Erfahrungen und der Zuneigung zum Thema und den Menschen, die in und zwischen Peters oft auch sehr persönlichen Zeilen fast sinnlich spürbar waren. Aber lesen Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, selbst! Er hat mir dankenswerterweise erlaubt, unseren Schriftwechsel in Auszügen für Nuzzes zu verwenden.
Über den Anfang.
Angefangen hat alles mit einem Spaziergang, an dessen Ende ich von einem mir davor kaum bekannten Mann gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könne, als Karenzvertretung für ein paar Monate das Beschäftigungsprojekt der Caritas Steiermark zu leiten, von dem er mir eben erzählt hatte. Ich war überrascht, denn ich hatte bei diesem Spaziergang das erste Mal von der Existenz dieser Welt gehört und selbst das Wort „Beschäftigungsprojekt“ eben erst kennen gelernt. Ich war damals gerade so weit vor dem Abschluss meines Germanistikstudiums, dass ich mich schon zu fragen begann, für welche Art von Arbeit mir dieses Studium nützlich sein könnte. Aus der Intuition heraus sagte ich: „Ja“.
Ich fand mich wieder in einem Projekt mit verschiedenen Arbeitsfeldern, vom Bau über Reinigung bis zu einem Gastronomiemodul. Mit sieben sehr unterschiedlichen Schlüsselkräften1 und – last but not least – mit 14 sehr verschiedenen Transitarbeitskräften2 (auch diesen Begriff hatte ich bis dahin nicht gekannt). Verschieden an Alter, Herkunft, Berufserfahrung, Ausbildung, Vorgeschichte, sozialer Stellung. Auf den ersten Blick waren die Transitarbeitskräfte eigentlich wie die Leute aus dem Dorf, aus dem ich stammte. Manche hatten ein Haus und eine Familie und einen Garten oder eine kleine Landwirtschaft und waren in vielerlei Hinsichten sehr „normal“. Manche schienen ganz allein zu sein auf der Welt und ihr Leben war überschattet von einem oder mehreren massiven Problemen. Suchterkrankungen, Haftstrafen, gesundheitliche Einschränkungen, finanzielle Probleme. Eine Person hatte die berühmten Nachttischlade voller unbezahlter Rechnungen, im nämlichen Fall etwa 200 Parkstrafen. Und es gab auch zwei ehemalige Prostituierte, die bereits etwas älter waren, und die – wie es im arbeitsmarktpolitischen Jargon hieß – noch „keine Arbeitserfahrung gesammelt hatten“. Ich sage „normal“, aber das Wort verlor bald seine alte Bedeutung, weil sich bei näherer Betrachtung die Dinge anders darstellten und sich unter der Decke eines unauffälligen, glattgebügelten Lebens einige Probleme befinden können. Aber so ist es ja auch in dem Dorf meiner Herkunft. Und Erfolg ist in unseren Projekten (und vielleicht auch überall sonst) nicht, dass es keine Probleme gibt, sondern dass diese Probleme nicht zu stark in andere Lebenssituationen, in unserem Fall in die Arbeit, hineinreichen. Das könnte ich dann schon als eine Art von Erfolg benennen, dass ein Leben auch mit Problemen ein Leben ist und dass man gerade auch durch Arbeit sehr effektiv von Sorgen, die nicht lösbar sind, Abstand gewinnen kann, da man sich einer anderen sinnvollen Sache widmet. Dass man von Dingen, die im Leben da sind und die einen belasten, ein wenig Distanz gewinnt und dass trotz aller Schwierigkeiten ein Raum entsteht, in dem die Probleme zurückweichen und Lebenssinn und Selbstvertrauen wachsen können.
Doch zurück zum Anfang meiner eigenen Projektgeschichte bei der Caritas. Bei aller Verschiedenheit der damals hier aktiven Personen, eines hatten sie dann doch gemeinsam: Sie waren alle älter als ich. Wie man sich vorstellen kann, hat dieser Umstand auch einige Irritationen ausgelöst. Zunächst einmal bei mir selbst, denn wäre ich nicht gefragt worden, ich wäre wohl nie auf die Idee gekommen, mich für diese Funktion zu bewerben. Und ich hatte mein „Ja“ gegeben, obwohl ich nur eine sehr unklare Vorstellung gehabt hatte, was mich hier erwartete. Heute, im Licht eines Vierteljahrhunderts an Erfahrung, kommt mir mein Einstieg in den Sektor aber weniger ungewöhnlich vor, denn die meisten Schlüsselkräfte landen hier nicht auf direktem Weg und es gibt ja auch keine echte einschlägige Ausbildung, die sie hierherführt. Und die Frage, ob man hier wirklich „richtig“ ist, entscheidet sich letztlich nicht unbedingt aufgrund von Ausbildung oder Alter. Als ich selbst Personalverantwortlicher war, waren mir bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor allem eine gewisse Flexibilität im Denken und Tun, eine positive Lebenseinstellung, ein gesunder Hausverstand und ein resolutes Nervenkostüm wichtig. Fehlt nur noch, was der ehemalige Caritasdirektor so auszudrücken pflegte: „Wenn du hier arbeiten willst, dann solltest du die Arbeit mögen, aber vor allem musst du diese Leute mögen.“
Mochte ich diese Arbeit, mochte ich diese Leute? Oh ja, das darf ich wohl sagen! Bei aller jugendlichen Naivität, bei aller beruflichen Unerfahrenheit (in meinem Fall stimmte der Begriff) - ich mochte diese Arbeit und ich war wirklich sehr stolz, hier mithelfen und sogar mitgestalten zu dürfen. Und ich mochte diese Menschen, wie man Menschen eben mögen kann. In ihrer Besonderheit, mit ihrer Geschichte und trotz allem, was man an ihnen schwierig und mühsam finden mag. In den ersten Jahren kannte ich die meisten „meiner“ Transitarbeitskräfte sogar persönlich. So wie man sich eben beim Arbeiten kennenlernt – ganz „nebenbei“. Man bringt eine Gruppe oder eine Person zu einem Einsatzort und plaudert während der Fahrt. Und diese Person lässt einen unvermittelt, vielleicht nur mit drei Sätzen, einen echten, authentischen Blick in ihr Universum werfen. Später wuchs der Bereich und ich kannte die meisten Personen dann nur mehr indirekt; aus Anekdoten meiner Schlüsselkräfte, aus den Berichten in den Teambesprechungen oder von den Erzählungen nach der Arbeit beim Kaffee. Die 1001 Geschichten von allem, was bei der Arbeit so vorfällt und von denen jede Schlüsselkraft ihr eigenes Buch schreiben könnte. Als unsere Einrichtung größer wurde, kannte ich dann nur mehr diese Geschichten oder wieder etwas später nur mehr die besonders schwierigen Fälle. Ja, und allmählich erreichte meine „kleine Einrichtung“ ihre heutige Größe und erstreckte sich über die ganze Steiermark, beschäftigte etwa 250 Transitarbeitskräfte und 160 Schlüssel- und Initialarbeitskräfte3 an über 60 Standorten. Da hatte ich am Ende nur mehr selten einen direkten Kontakt. Auf dieser Managementebene konnte ich viel am Design dieser Arbeit gestalten, und ich war immer sehr dankbar, dass ich diesen Erfahrungsschatz aus den ersten Jahren mit mir trug.
Über Erfolg.
Da ich nicht mehr Teil des Systems bin und die Arbeit nach außen hin nicht mehr rechtfertigen muss, denke ich bei „Erfolg“ jedoch nicht primär an den arbeitsmarktpolitischen Erfolg nach dem Ende der Maßnahme. Denn diese Art von Erfolg, die echte und dauerhafte Wiedereingliederung in den primären Arbeitsmarkt, funktioniert ja nur für etwa ein Drittel der Zielgruppe (und für sie funktioniert sie erfreulicherweise sehr gut). Sie mag damit eben zu einer politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz des Sektors beitragen. Aber mit dieser Transferfunktion ist nur ein erster Teil der positiven Wirkung des Sektors beschrieben; der weit wichtigere Aspekt ist aus meiner Sicht, dass man von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit betroffenen Personen mit dem Transitarbeitsverhältnis überhaupt einmal eine echte Beschäftigung zu einer echten, also kollektivvertraglichen Entlohnung anbietet. In einer (Arbeits-)Welt, in der sich das Karussell mit für meinen Geschmack zu hoher Geschwindigkeit dreht und deshalb in einem oft gnadenlosen Auswahlprozess stetig eine Vielzahl von Personen im arbeitsfähigen Alter abwirft, scheint mir der sekundäre Arbeitsmarkt4 ein in arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Hinsicht notwendiges Auffangbecken. Ohne dieses Auffangbecken wäre das Portfolio an Maßnahmen – Beratung und Ausbildungsangebote oder Eingliederungsbeihilfen für Betriebe5 – unvollständig, zumal Ausbildung nicht bei allen und nicht ständig eine adäquate Perspektive darstellt. Und natürlich sind Eingliederungsbeihilfen in Betrieben die erste Wahl, für jene, die damit in einer Art Vorlauf in ein ungefördertes Arbeitsverhältnis gelangen können. Aber es gibt in der Realität doch eine erschreckend große Gruppe an Menschen, die auch mit der höchstdotierten Eingliederungsbeihilfe entweder keine Angebote erhalten oder nur solche, die ihnen keine positive, berufliche Entwicklung ermöglichen. Diese Menschen dürfen uns in einer solidarischen Gesellschaft nicht egal sein und für diese Menschen ist dieser Sektor die Alternative zum Sitzen in einem Wartezimmer, in dem sie nie aufgerufen werden. Denn der Arbeitsmarkt ist nicht nur ein Karussell, sondern auch wie eine Autobahn, bei der bestimmte Leute nie und andere fast zu allen Zeiten des konjunkturellen Aufs und Abs im Stau stehen.
Wenn ich also vom Erfolg dieses Sektors rede, dann möchte ich diese Funktion des Auffangens in den Vordergrund stellen. Wenn alle anderen Angebote nicht recht greifen, dann ist eine befristete Beschäftigung ein geeignetes Interventionsmittel. Und was bei fast allen Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern funktioniert, ist die Funktion der Stabilisierung. In der Steiermark haben wir, inspiriert von den Methoden der Glücksforschung, mit dem Instrument der Wirkungsmessung diese Entwicklung sogar messbar gemacht. Wir haben dabei bei mehreren tausend Personen verschiedene Indikatoren am Anfang und am Ende des Projekts bewertet. Als relevant erwiesen sich zum einen Faktoren, die am Arbeitsplatz unmittelbar spürbar sind, wie beispielsweise die Arbeitsgeschwindigkeit, selbständiges Arbeiten, Genauigkeit oder das Verhalten im Arbeitsumfeld (z. B. gegenüber Kolleginnen und Kollegen oder Kundinnen und Kunden). Aber es waren auch psychologische und soziale Verbesserungen, wie die Steigerung des Selbstwertgefühls oder die Aktivierung der eigenen Problemlösungskompetenz (z. B. um finanzielle Probleme anzugehen), die wir mit dem Instrument fassbar machen konnten. Aber in Wahrheit sagt einem nicht nur der Volksmund mit Sprichwörtern wie „wer rastet, rostet“ (auch wenn Arbeitslosigkeit nichts mit einem freiwilligen Rasten gemein hat), sondern bereits der Hausverstand, dass das Arbeiten in einem wertschätzenden Umfeld mehr bewirkt als ein Verharren in einer Endloswarteschleife. Eine Mitarbeiterin des AMS, die in der Nähe eines als SPAR-Markt geführten Beschäftigungsmoduls wohnt und deshalb dort regelmäßig einkauft, sagte es auch ganz anders. Sie sei „immer wieder erstaunt, wie die Transitarbeitskräfte während ihrer Projektzeit aufblühen, wie Personen, die scheu und in sich gekehrt sind, nach ein paar Wochen im Markt stehen, als hätten sie nie etwas anderes gemacht, freundlich, selbstbewusst.“ In Bezug auf diese Art von Erfolg kann man von einer positiven Wirkung von über 90% ausgehen.
Über das Durchhalten.
Im Film „Top Gun“ spielt ein noch sehr jugendlicher Tom Cruise einen außerordentlich begabten Piloten, der durch einen Unfall, bei dem sein Copilot verunglückt, in eine veritable Krise schlittert. Er scheint sich selbst die Schuld zu geben, er trauert um seinen Freund und er verliert seine Fähigkeit, ein Flugzeug zu fliegen. Nach einem weiteren missglückten Flugversuch steigt er aus seinem Kampfflugzeug und geht schweigend und mit hängendem Kopf an seinen beiden Ausbildnern vorbei. Der eine von ihnen blickt den anderen, den Leiter, an; alle sind mehr oder weniger ratlos. Dann sagt der Leiter der Einheit diesen Zaubersatz: „Schicken sie ihn einfach immer wieder hoch!“ Diesen Satz möchte ich auch als Sinnbild für alle Personen aus unseren Zielgruppen an das Ende stellen. Egal in welcher Situation sie sind, egal wie sehr sie vielleicht Misserfolge am Arbeitsmarkt oder Probleme aus dem Umfeld niedergedrückt haben, egal wie sehr sie den Kopf hängen lassen: Schicken wir sie einfach immer wieder hoch, geben wir ihnen immer wieder die Chance auf einen beruflichen Neuanfang und ermöglichen wir ihnen damit ein Stück Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft.
In SÖB und GBP fix Beschäftigte wie Fachanleitungspersonal, Coaches etc.
Menschen, die nach vorheriger Arbeitslosigkeit auf befristeten (Transit-)Arbeitsplätzen in einem SÖB oder GBP beschäftigt sind. Mit dieser Arbeit einher geht ein Angebot an Unterstützung (Qualifizierung, Beratung etc.), das einen (Wieder-)Anschluss an den Arbeitsmarkt fördert.
Initialarbeitskräfte – in der Regel rekrutiert aus dem Pool der Transitarbeitskräfte - erfüllen die Funktion einer „Systemstabilisierung“ und helfen so mit, eine kontinuierliche Qualität in der Arbeit sicherzustellen, wo sonst aufgrund der häufigen Personalwechsel, in Fällen der Unterauslastung, bei Krankenständen von Transitarbeitskräften, Lücken entstehen.
Das Feld der sozialökonomischen Betriebe und gemeinnützigen Beschäftigungsprojekte.
Lohnsubstitution; dem Arbeitgeber wird für einen begrenzten Zeitraum ein Teil der Lohnkosten ersetzt.
Herrlich! Auf den Punkt gebracht!!!