Aller Anfang ist schwer – so auch der Einstieg in einen sozialökonomischen Betrieb. Was ist ein SÖB? Wo liegt der Unterschied zu einem „normalen“ Gastronomiebetrieb? Was erwartet mich und was wird von mir erwartet? Die Konfrontation mit unbekannten Fachausdrücken von Seiten des Arbeitsmarktservice (AMS) und von Seiten des Projektträgers, die zeitweise eine große Herausforderung darstellt. Der Umgang mit Menschen die nicht immer freiwillig am Projekt teilnehmen sowie der Balanceakt zwischen Wirtschafts- und Sozialbetrieb sorgen für Hemmnisse, Hürden und Hoppalas, die Tag für Tag neue Herausforderungen darstellen.
Aus einem Gastronomiebetrieb kommend birgt der Einstieg in einen SÖB so manche Überraschung. Da ist ein Restaurant. Als Betreiber, Koch oder Kellner zu arbeiten ist bekannt und vertraut. Auf den ersten Blick schaut alles „normal“ aus. Gleich stellt sich die erste Frage – ein SÖB, was ist das? Sozialökonomischer Betrieb - das Wort ist verständlich, aber die Tragweite dieses Begriffes umfasst vorerst mal ein Spektrum an Begriffen und Abkürzungen, deren Bedeutungen erst so nach und nach verständlich und klar werden. TAS, TAK, VBM … Chinesisch? Könnte sein, denn genauso wenig kann ein Branchen-Neuling damit anfangen. (TAS = Teilnehmer-Administrations-System, TAK = Transitarbeitskraft, VBM = Vorbereitungsmaßnahme)
Ist die Hürde mit den Abkürzungen so halbwegs genommen, geht es schön langsam an die Substanz. Egal ob Serviceleitung, Küchenchef oder Restaurantleitung - im Wirtschaftsbetrieb zählt der Umsatz und Qualität ist die Voraussetzung um diesen zu steigern. Ein gut eingespieltes Team sorgt für die Qualitätssicherung und zufriedene Gäste. Im SÖB ist alles ANDERS. Qualität und Umsatz sind wichtig, aber der Fokus liegt auf der Stabilisierung, Ausbildung und Vermittlung von arbeitslosen Menschen die nicht immer freiwillig am Projekt teilnehmen.
Der Ablauf eines Infogesprächs mit einer zukünftigen Transitarbeitskraft macht das sehr deutlich: Ein Koch, der nicht mehr in der Gastronomie arbeiten will, muss den Termin des Info-Tages wahrnehmen. Koch: „Ich lass mir nicht vorschreiben, wo ich arbeiten will. Ich möchte mir meinen Job selber aussuchen …“ SÖB-Mitarbeiterin: „Ich verstehe Sie. Ich bin in der gleichen Situation. Könnte ich mir unsere Mitarbeiterinnen aussuchen, würde ich mich auch nicht für Sie entscheiden.“ (Der Koch hat die Herausforderung angenommen, als Transitarbeitskraft gearbeitet, wurde an den Arbeitsmarkt vermittelt und ist nach wie vor als Koch beschäftigt.)
Herr Daljinder Singh Rahal kommt wütend zum Informationstag: „Ich weiß nicht, was ich hier soll. Ich bin Bauarbeiter und die Küche interessiert mich gar nicht. Was will das AMS von mir?“ Um seine AMS-Bezüge nicht zu verlieren, willigte er letztlich ein, an der Vorbereitungsmaßnahme teilzunehmen. Mittlerweile ist Herr Daljinder Singh Rahal seit drei Jahren als Schlüsselkraft im Bereich Michl´s Catering beschäftigt und es gelingt ihm sehr gut, neue Mitarbeiter zu motivieren. Wenn er ihnen von seinem Beginn im SÖB erzählt fühlen sich diese verstanden und sind bereit die Herausforderung anzunehmen.
Viele der Bewerberinnen sind schon sehr lange zuhause. Zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit suchen sie intensiv nach einem Job und schreiben Bewerbung nach Bewerbung. Wenn es über Wochen nur Absagen oder gar keine Antwort gibt, beginnt man an sich selbst und dem eigenen Können zu zweifeln. Das Selbstvertrauen sinkt mit jeder neuen Absage. Das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit nähert sich dem Nullpunkt. Gibt es dann die Einladung zu einem Infogespräch in einem SÖB kommt die Angst, zu versagen. Die Trickkiste der Ausreden wird geöffnet und es ist unglaublich, auf welch kuriose Art versucht wird, eine Anstellung zu vermeiden. Die Angst, zu versagen, scheint schier unüberwindbar. Spricht der SÖB-Mitarbeiter diese Themen zu Beginn des Informationsgesprächs an, so fühlt sich der Bewerber in seiner Problematik verstanden. Mit dem Verständnis für die vorhandenen Ängste und dem wertschätzenden Gefühl für die Situation gelingt es oft, die Mauer aus Angst zu durchbrechen und den Bewerber zum ersten Schritt aus der Arbeitslosigkeit zu motivieren.
Eine große und immer wieder zu nehmende Hürde ist die Auswahl der Transitarbeitskräfte. Da gilt es, die Balance zu finden. Das Projekt soll immer ausgelastet und alle verfügbaren Plätze besetzt sein. Die erste Auswahl der Personen treffen Beraterinnen des AMS. Sehr oft fällt die Entscheidung nicht nach Qualifikation oder Interesse, sondern aus der Motivation, die betreffende Person in Beschäftigung zu bringen. Projektleitung und Fachanleitung stehen nun vor der Qual der Wahl – Auslastung oder Vermittlung? Sehr oft fällt die Entscheidung zugunsten der Auslastung, alleine, um den Betrieb aufrechterhalten zu können (der Gast zahlt für die Leistung und darf sich die entsprechende Qualität erwarten). Diese oft notwendige kurzfristige Entscheidung wirkt sich längerfristig negativ im Bereich Vermittlung aus. Ein 63jähriger Kellner stellt auch für den besten Job-Vermittler (Outplacer) eine Herausforderung dar!
Ein weiteres großes Problem, das immer wieder zu oft schwerwiegenden Hoppalas führt sind die geringen Deutschkenntnisse unserer Transitarbeitskräfte, welche vor allem die Fachanleiter zu spüren bekommen.
Mittagsgeschäft im Lokal – Stress. Der Küchenchef braucht dringend Tomaten und schickt einen Mitarbeiter ins Kühlhaus. Der Mitarbeiter kommt nach gefühlten Stunden mit Kartoffeln zurück.
Die Gulaschsuppe für eine Veranstaltung ist gerade fertig geworden und sollte von der Transitarbeitskraft zur Seite gestellt werden. Der Mitarbeiter versteht den Auftrag nicht und schüttet die Suppe in den Abfluss …
Solche Momente und der permanente Personalwechsel (wobei fachlich kompetente Mitarbeiterinnen sehr schnell vermittelt werden und aus dem Projekt ausscheiden) bringen den ruhigsten Küchenchef an seine Grenzen. Der Gast erwartet ein perfektes Menü. Ihn interessiert nicht, mit welchen Mitarbeitern das Fachpersonal dieses produziert. Viele Fachanleiter sind mit diesen Problemen überfordert und wechseln nach kurzer Zeit wieder in die Privatwirtschaft, wo sie mit einem kleinen aber eingespielten Team das stressige Tagesgeschäft in der Gastronomie erledigen.
(Das TOP-Lokal am Fleischmarkt im 1. Bezirk.)
Wie könnte ein Neueinstieg in den SÖB sowohl für Projektleitung als auch Fachanleitung besser gelingen?
Die Theorie ist eine Geschichte, aber in der Praxis schaut nahezu alles ganz anders aus. Um den Alltag im SÖB mit allen Hürden hautnah zu erleben wäre im Vorfeld ein mindestens einwöchiges Praktikum empfehlenswert. Fällt die Entscheidung dann immer noch zugunsten des SÖB aus, sollten mit Berufsantritt drei Tage Hospitation am AMS erfolgen. Der Ablauf eines Gesprächs mit arbeitslosen Kundinnen oder Kunden des AMS, der Druck dem die Beraterinnen ausgesetzt sind und die unterschiedlichen Reaktionen arbeitsloser Menschen im AMS-Kontext ermöglichen einen Einblick in die Abläufe des AMS und schaffen Verständnis für die Arbeit der Beraterinnen. Manch unübliches Verhalten unserer Transitarbeitskräfte lässt sich damit zwar nicht entschuldigen, aber leichter erklären.
Der nächste Schritt bei den Fachanleitern ist die Zertifikats-Weiterbildung.
Fachanleiter haben in den sozialen Integrationsunternehmen eine Schlüsselrolle inne, indem sie die Transitarbeitskräfte fachlich direkt am Arbeitsplatz anleiten/qualifizieren und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sind sie gefordert, wirtschaftliche Ziele zu erreichen und Kundinnen zufrieden zu stellen. Die Weiterbildung soll ihre Kompetenzen und Qualifikationen erweitern, um die unterschiedlichen Aufgaben in ihrem fachlichen Umfeld erfolgreich zu bewältigen.
Ihrer sozialpädagogischen Kompetenzen,
ihres Kommunikations- und Führungsverhaltens,
auch in Konflikten und schwierigen Situationen, sowie
das Erlernen von Methoden der Selbsthilfe und gegenseitigen Unterstützung,
ihrer Marketing-Kompetenz und ihres Umganges mit Kunden,
ihres rechtlichen Basiswissens, als Vertreter des Dienstgebers.
(Auszug aus dem Angebot des Veranstalters)
Nicht nur theoretisches Hintergrundwissen sowie praktische Lösungsansätze, sondern ein Lexikon der AMS-Abkürzungen sollte im Einsteiger-Paket enthalten sein.
Während der ersten Wochen und Monate fühlt sich ein Gespräch mit dem AMS an wie ein Hürdenlauf für einen Blinden. Immer wieder stolpert man über Abkürzungen. Kaum hat man sich gefangen und glaubt den Sinn zu erfassen ist bereits die nächste Hürde da und irgendwann stürzt man dann über den Buchstabensalat.
Auch nach Jahren im SÖB ist dies immer wieder eine Herausforderung. Es kommen immer wieder neue Abkürzungen dazu und manchmal verändert sich auch die Bedeutung von Begriffen. Sprach man vor drei Jahren vom Arbeitstraining, so ist dies heute die Vorbereitungsmaßnahme. Trainees sind nicht mehr Teilnehmer der Vorbereitungsmaßnahme, sondern nehmen am Trainingsprogramm teil.
Kennen Sie sich noch aus? Wir versuchen es und arbeiten daran, den Überblick zu behalten.
Die wichtigsten Voraussetzungen für die Arbeit in einem SÖB ist die Liebe zu den Menschen und ein hohes Maß an Wertschätzung. Der erste Eindruck darf nicht prägend sein, denn sehr oft steckt hinter der Fassade eine Persönlichkeit die ganz und gar nicht dem äußeren Erscheinungsbild entspricht (dies ist sowohl im Positiven als auch im Negativen möglich).
Eine weitere Voraussetzung ist die Flexibilität um den raschen Wechsel zwischen den einzelnen Arbeitsbereichen meistern zu können. Kunden, AMS, Lieferanten, Fachanleiter, Transitarbeitskräfte und Trainees mit ihren unterschiedlichen Anliegen, Wünschen und Forderungen erwarten kurzfristig rasche und kompetente Lösungen.
Unsere Erfahrungen im SÖB könnten ganze Bücher füllen, aber leider haben wir unsere Geschichten nicht aufgeschrieben. Trotzdem möchten wir unseren Beitrag mit einigen Hoppalas aus unserer jahrelangen Erfahrung abschließen.
Erster Tag:
Ein neuer Mitarbeiter kommt. Alle Formalitäten werden erledigt, Formulare, Unterweisungen, Arbeitskleidung, Spind, … Der Mitarbeiter sollte sich umziehen und dann mit der Arbeit beginnen. Als er nach einer halben Stunde immer noch nicht da ist schaut der Fachanleiter nach. Die Arbeitskleidung liegt säuberlich gefaltet vor dem Spind, aber der Mitarbeiter ist nirgends zu finden. Nach mehreren ergebnislosen Anrufen meldet er sich endlich am Telefon und teilt uns mit, dass er beim Anblick der Arbeitskleidung festgestellt hat, dass er doch nicht arbeiten will …
Woche 1:
Der Gast beschwert sich beim Kellner über dessen Unfreundlichkeit. Der Kellner schaut den Gast an und antwortet: „Ich bin ja nicht freiwillig da.“
Woche 3:
Eine Veranstaltung im Lokal ist am Laufen. Es gibt Platten mit Fingerfood die von der Küche vorbereitet sind. Der Gast sieht leider davon nicht viel, denn auf dem Weg von der Küche zum Tisch wurden die Speisen vom Servicepersonal ausgiebig verkostet. Sie haben so appetitlich ausgesehen.
Woche 6:
Der Fachanleiter kommt kreideweiß aus der Küche und teilt mit, dass er jetzt eine Runde um den Block machen muss. Der Transitmitarbeiter hat die Suppe weggeschüttet und die Knochen aufgehoben. Die Suppe hat ja ganz trüb ausgesehen …
Woche 12:
Catering in der Wiener Innenstadt – zwei Mitarbeiter bekommen den Auftrag, einen Lieferwagen vom Veranstaltungsort abzuholen.
Erster Versuch: Ein Mitarbeiter (der zweite findet es nicht notwendig, mitzufahren) setzt sich ins Auto, fährt los und kommt nach einer halben Stunde wieder retour. Ein Fahrer, zwei Autos, das geht nicht.
Zweiter Versuch: Beide Mitarbeiter fahren, jetzt allerdings mit zwei Autos. Auch dieser Versuch war nicht von Erfolg gekrönt.
Dritter Versuch: Die Voraussetzungen waren diesmal gut. Zwei Mitarbeiter, ein Auto am Hinweg, aber leider blieb auch diese Aktion ohne Erfolg. Das abzuholende Fahrzeug wurde mittlerweile kostenpflichtig abgeschleppt.
Woche 18:
Eine Teilnehmerin sollte wie schon mehrmals vorher einen Gugelhupf als Tagesdessert backen. Leider war sie etwas unkonzentriert und verwechselte Zucker mit Salz.
Der Gast, der genussvoll den ersten Bissen nahm, verzog plötzlich das Gesicht, schob den Teller von sich und meinte: „Der schmeckt heute aber irgendwie anders!“
Als Dessert gab es an diesem Tag Eis und „Schöberlsuppe“ fand man zwei Tage später auf der Karte.
Trotz aller Hürden, Hemmnisse und Hoppalas ist die Arbeit im SÖB eine spannende, sinnvolle und sinnbringende Herausforderung, die wir mit viel Energie, Wertschätzung, Humor und persönlichem Einsatz täglich aufs neue meistern.
(Das Michl’s in der Reichsratsstraße im 1. Bezirk.)
Autorinnen
Monika Kelich leitet seit 2013 den SÖB Michl’s. (Link zum Michl’s)
Elisabeth Schügerl war von 2010 bis 2021 Leiterin des SÖB TOP-Lokal. (Link zum TOP-Lokal)