Was sind die Grundvoraussetzungen für die Arbeit in sozialökonomischen Betrieben (SÖB), beziehungsweise wie können Interessierte für sich feststellen, ob sie diesen Weg einschlagen können und vor allem wollen? Der Beitrag geht einerseits der Frage nach, welche Faktoren neben einer qualifizierten Grundausbildung Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einstieg in der Branche darstellen. Andererseits geht es aber auch darum, dass Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger von sozialökonomischen Betrieben Erwartungshaltungen klar definieren. Empathie und Offenheit für die Arbeit mit Menschen gehören ebenso dazu, wie Zielorientierung und persönliche Abgrenzung. Ohne persönlicher Abgrenzung ist eine professionelle und nachhaltige Unterstützung nur schwer möglich. Zielorientierung ist wiederum Teil einer prozessbasierten Arbeit mit Transitarbeitskräften und hilft diesen - vielleicht erstmals - selbstbewusst in die Zukunft zu blicken.
Kenntnis über sozialökonomische Betriebe voraussetzend, widmet sich dieser Artikel einerseits der Fragestellung nach ihrer Bedeutung für Arbeitsuchende und andererseits - und dies als Schwerpunkt - der bewussten Entscheidung von interessierten Menschen als zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in derartigen arbeitsmarktpolitischen Projekten zu arbeiten. Es geht darum, herauszuarbeiten, was das Besondere an dieser Tätigkeit ist und wie sie sich einordnen lässt in die Fülle an möglichen Betätigungsfeldern in unserer Branche. Gemeint ist die Erwachsenenbildung im Kontext von Bildung und sozialem Engagement. Oftmals erreichen uns Bewerbungen von Menschen mit viel Erfahrung aus den Bereichen der Kindergartenpädagogik und der Sekundarstufe 11. Obwohl es sich dabei um wichtige Berufsfelder handelt und die Bewerberinnen und Bewerber über enorm wertvolle Erfahrungen verfügen, ist die Eignung für unsere Branche oft nicht gegeben.
Immer wieder erlebe ich, dass Bewerberinnen und Bewerber unterschiedlichste Erwartungshaltungen und Vorstellungen über unseren Arbeitsbereich mitbringen und den Unterschied zwischen diesen zwei komplett verschiedenen Berufsfeldern – Erstausbildung und Erwachsenenbildung - nicht sehen. Selbstverständlich ist ein Wechsel, begleitet von den notwendigen Zusatzausbildungen, durchaus möglich, jedoch setzt er eine intensive Auseinandersetzung mit unserer Arbeit in sozialökonomischen Betrieben voraus. Die eigene Erwartungshaltung muss sich den Realitäten anpassen und es ist unsere Aufgabe, potentielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese Umstellung vorzubereiten.
Was sind nun Grundvoraussetzungen für die Arbeit in sozialökonomischen Betrieben?
Es mag jetzt vielleicht verwundern, aber ich werde hier nicht die (unbedingt notwendigen) fachlichen Ausbildungsschienen aufzählen und deren Bedeutung auf vielen Seiten begründen. Uns ist allen klar, dass wir in der Betreuung Arbeitsuchender die dafür nötigen Kenntnisse und Ausbildungen mitbringen müssen, nicht nur aufgrund von Auflagen seitens des Arbeitsmarktservice (AMS), sondern auch aus Wertschätzung diesen Menschen gegenüber, die das Anrecht auf bestmögliche und professionelle Unterstützung haben. Vielmehr geht es mir um die Bewusstseinsbildung und die Sensibilisierung für unsere Arbeit – um die Auseinandersetzung mit der Tätigkeit und dem Anforderungsprofil. Anforderungsprofil ist übrigens ein gutes Stichwort.
Wir kennen es alle insbesondere aus Stelleninseraten. Einige Schlagwörter, die einen Job kurz umreißen sollen in der Erwartung, dass bei der Leserin und dem Leser ein umfassendes und vor allem klares Bild der Tätigkeit entsteht. Nur, so funktioniert es leider nicht. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob ich mir als Bewerberin oder Bewerber wirklich vorstellen kann, diesen Job zu machen. Will ich dieser Art von Tätigkeit nachgehen und habe ich genug Informationen, um dies entscheiden zu können?
Das bedeutet für Neueinsteigerinnen und Neueinsteiger in unserer Branche, dass sie mehr Informationen und mehr „Gespür“ bekommen müssen. Genau hier an diesem Punkt setzt unsere Verantwortung als Entscheidungsträgerinnen bzw. Entscheidungsträger ein. Es ist unsere Aufgabe, möglichst umfassend unsere Erwartungshaltung an zukünftige Schlüsselkräfte zu artikulieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit potentiellen Kolleginnen und Kollegen in einen Informationsaustausch treten zu können.
Empathie und Offenheit
Für unsere Arbeit ist Empathie ein wesentliches Kriterium. Wir arbeiten mit Menschen – wir betreuen und coachen sie, um ihnen berufliche Perspektiven aufzuzeigen und sie gleichzeitig dabei zu unterstützen, diverse persönliche Hemmnisse, die bislang einer Arbeitsaufnahme im Weg gestanden sind, zu beseitigen. Dafür gibt es keine „10 goldenen Regeln“ und kein für alle gültiges Patentrezept. Eines ist aber in unserer Tätigkeit immer gleich: Wir müssen empathisch sein, offen sein für die Anliegen unserer Transitarbeitskräfte. Das bedeutet zu Beginn der Betreuung, keine vorgefassten Stereotypen gelten zu lassen und völlig vorurteilsfrei die individuelle Aufarbeitung der bisherigen Lebensgeschichten zu starten. Damit schaffen wir eine Vertrauensbasis und diese ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Betreuung und Vermittlung. Menschen spüren dies unabhängig von Herkunft und Bildung sehr rasch. Sie erwarten in aller Regel keine Patentrezepte, sondern sie erwarten, ernst genommen zu werden.
Mit der Zeit entsteht Vertrauen und damit verbunden Akzeptanz und dies führt wiederum zur Annahme von Vorschlägen zur Lösung von bestimmten Problemen und zur Vermittlung auf bestimmte Arbeitsplätze. Vergessen wird oft, dass sich Transitarbeitskräfte (wie der Name schon sagt) im Transit – auf der Durchreise – befinden. Es geht nicht darum, eine langjährige Zusammenarbeit im sozialökonomischen Betrieb aufzubauen. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, den Motor wieder in Gang zu setzen, den Anstoß zu liefern für neue berufliche Perspektiven.
Daran müssen wir uns immer erinnern und je rascher es uns gelingt, konkrete Unterstützung und eine erfolgreiche Vermittlung zu schaffen, umso eher können Transitarbeitskräfte wieder ihren eigenen Weg gehen. Professionelle Betreuung hat immer ein Ziel vor Augen und dieses lautet: Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt und bestmögliche Beseitigung aller diesem Ziel im Weg stehenden Hemmnisse. Stabilität erzeugen, einen Anker setzen und dass möglichst rasch unsere Unterstützung entbehrlich, das heißt, nicht mehr notwendig ist. Das ist unser Auftrag.
Persönliche Abgrenzung und Zielorientierung
In unserer Arbeit ist die persönliche Abgrenzung extrem wichtig und nur wenn uns dies gelingt, können wir mittel- und langfristig Menschen in schwierigen Situationen helfen. Es ist daher sehr verantwortungsvoll, auf die eigene Psychohygiene zu achten und zum Beispiel regelmäßig Supervision in Anspruch zu nehmen. Der Austausch in den Teams ist ebenfalls von eminenter Bedeutung. Tagtäglich sind wir mit persönlichen Geschichten von Menschen konfrontiert, die uns beschäftigen und uns nachdenklich werden lassen.
Gelingt uns die persönliche Abgrenzung, ist es uns möglich, unser gesamtes Potential, unsere Ausbildungen, unser Wissen und wie oben erwähnt unsere Empathie und Offenheit in unserer Arbeit einzusetzen. Damit komme ich zum nächsten Gedanken, der mir im Zusammenhang mit einer Tätigkeit in einer sozialökonomischen Einrichtung sehr wichtig ist. Zur Zielorientierung. Der weitaus überwiegende Teil unserer Transitarbeitskräfte hat diese Zielorientierung schlichtweg nicht. Diesen Part müssen wir in den meisten Betreuungen übernehmen. Ziele zu definieren ist die Grundvoraussetzung und an sich bereits nicht einfach, diese aber nachhaltig zu verfolgen, ist eine noch schwierigere Aufgabe. Das gilt schon für uns persönlich, aber im Besonderen für die Ziele unserer Transitarbeitskräfte. Wir dürfen diese Ziele niemals aus den Augen verlieren und müssen hartnäckig daran festhalten, auch wenn es so wie in den meisten Fällen immer wieder Rückschläge geben kann und wird.
Zusammengefasst sind neben der fachlichen Ausbildung und der Information über das realistische Berufsbild die Faktoren Empathie, Offenheit, Abgrenzung und Zielorientierung die wesentlichsten Fähigkeiten und Voraussetzungen für eine Arbeit in sozialökonomischen Betrieben.
In manchen Bewerbungsgesprächen werde ich gefragt, wie unsere Arbeit von Arbeitsuchenden auf- und angenommen wird. Das ist eine sehr wesentliche Frage und könnte ergänzt werden durch: “Warum sollte ich mich für einen Job im sozialökonomischen Betrieb entscheiden?“.
Die Antwort wird in vielen Fällen ähnlich ausfallen. Unsere positive Einstellung und Herangehensweise an die Lösung von bestimmten Themen und Problemstellungen löst zunächst oftmals Skepsis aus. Wenn es uns aber gelingt, die oben erwähnten Anker zu setzen, Sichtweisen zu verändern und neue Perspektiven zu erzeugen – ja dann gelingt es uns, Transitarbeitskräfte von Skepsis zu Zuversicht, Neugierde und aktivem Handeln zu führen.
Genau diese Umstände machen den Job in einem sozialökonomischen Betrieb so interessant und deshalb ist ein solcher eine sehr lohnende berufliche Perspektive – und das ist schlussendlich die Antwort auf die oben gestellte Frage.
Was erwartet uns dafür als Gegenleistung?
Wenn es uns gelingt, die erwähnten Themen aufzuarbeiten – wenn wir offen sind und Empathie zeigen, bekommen wir unmittelbares und sehr direktes Feedback. Selbstverständlich passiert dies nicht jeden Tag und kommt auch nicht von jeder Transitarbeitskraft. Jedenfalls aber erfahren wir in diesem Job Wertschätzung und manchmal auch Dankbarkeit.
Wir können unmittelbare Erfolge feiern und lernen gleichzeitig, auch mit Misserfolgen umzugehen. Nicht immer gelingt die Vermittlung und/oder die Beseitigung von vermittlungshemmenden Faktoren. Nicht jede Transitarbeitskraft will unsere Unterstützung annehmen. Oftmals müssen wir dabei ein Schutzschild durchbrechen, um die Bearbeitung der tatsächlichen Problemfelder zu ermöglichen. Es ist unsere Aufgabe, „dranzubleiben“, festzuhalten am definierten Ziel, bis unsere Transitarbeitskräfte ihren eigenen Motor wieder anwerfen können. Wir geben auf die eine oder andere Art Starthilfe.
Wertschätzung und Dankbarkeit habe ich bereits erwähnt. Wir sehen den unmittelbaren Erfolg bei Menschen, die es aus eigener Kraft vielleicht nicht – oder nicht so schnell – geschafft hätten. So gesehen wird ihr Erfolg auch eine Spur zu dem unseren. Wir nehmen daraus den Sinn für unsere Tätigkeit mit und können im Team unsere gemeinsamen Erfolge feiern.
Autor
Martin Röhsner hat an der Wirtschaftsuniversität Wien Handelswissenschaften studiert und ist systemischer Wirtschaftscoach.
Er ist seit 1998 geschäftsführender Gesellschafter von die Berater Unternehmensberatungsgesellschaft mbH (dieberater.com), seit 2009 Geschäftsführer des sozialökonomischen Betriebes TOP-Lokal (top-lokal.at) und seit 2010 geschäftsführender Gesellschafter der Catro Personalberatung und Media GmbH.
Er ist Gründungsmitglied der Plattform der berufsbezogenen Erwachsenenbildung und seit 2008 ihr stellvertretender Sprecher.
Begriffe
Transitarbeitskräfte: Menschen, die nach vorheriger Arbeitslosigkeit auf befristeten (Transit-)Arbeitsplätzen in einem SÖB oder GBP (gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt) beschäftigt sind. Mit dieser Arbeit einher geht ein Angebot an Unterstützung (Qualifizierung, Beratung etc.), das einen (Wieder-)Anschluss an den Arbeitsmarkt fördert.
Fünfte bis achte Schulstufe.