Herbert Schweiger ist Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen, zu denen auch der sozialökonomische Betrieb (SÖB) Demontage- und Recycling-Zentrum – D.R.Z gehört. Er war früher selbst als Schlüsselkraft in einem SÖB tätig. Mit Nuzzes hat er unter anderem über seine dabei gemachten Erfahrungen gesprochen.
Ende der Neunzigerjahre habe ich die Umweltberatung in Marketingfragen beraten und bin dann gefragt worden, ob ich in einer anderen Einrichtung der Wiener Volkshochschulen, dem sozialökonomischen Betrieb Reparatur- und Service-Zentrum – R.U.S.Z, eine Funktion mit ähnlichen Aufgaben übernehmen würde. Ich habe ja gesagt und bin dadurch in eine für mich völlig fremde Welt gekommen. Bis dahin war ich gänzlich im kommerziellen Bereich unterwegs, habe Öffentlichkeitsarbeit und Marketing für große Konzerne gemacht, auch europaweit. Weil ich sozusagen prekär selbständig war, einmal gut verdient habe, dann wieder gar nichts, wusste ich zwar schon aus eigener Erfahrung, wie schwierig es sein kann, Arbeit zu finden und sich sein Auskommen zu verdienen, aber im SÖB hatte ich dann fast nur mehr mit Leuten zu tun, wie ich sie davor in meinem Umfeld nicht angetroffen hatte. Damals war ich um die Vierzig und hatte selbst kein langweiliges Leben geführt – nun hörte ich allerdings mitunter Biographien, die wirklich heftig waren. Ich sah mich immer als sehr offenen Menschen und meinte, Kontakte in alle gesellschaftlichen Schichten zu haben, hier erweiterte sich mein Horizont jedoch noch einmal. Im R.U.S.Z war ich nur ein Jahr, weil ich dann Pressesprecher der Wiener Volkshochschulen wurde, diese Zeit war aber sehr bereichernd.
Zentral bei SÖB ist der Auftrag, Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Wenn man das im Auge behält, kann man auch gut damit leben, dass die Transitarbeitskräfte den Betrieb oft gerade dann bereits wieder verlassen, wenn sie so weit eingearbeitet sind, dass sie aus betrieblicher Sicht effektiv sein können. Das ist dann halt einfach die Umsetzung des Auftrages. Das stabile Element sind die Schlüsselkräfte. Durch sie ist gewährleistet, dass Abläufe auf gleichbleibendem Niveau wiederholt werden können. Der ständige Wechsel bei den Transitarbeitskräften bringt es halt mit sich, dass man sich immer wieder auf jemand Neuen einstellen muss. Eine Einheitsmethode zur Begleitung von Individuen auf ihrem Weg in den ersten Arbeitsmarkt funktioniert nicht. Und Empathie ist unbedingt nötig. Wer solche Bedingungen als positive Herausforderung ansieht, für den ist eine Tätigkeit in einem SÖB sensationell gut geeignet.
In einem SÖB zu arbeiten ist irrsinnig lohnend auf einer menschlichen Ebene. Ich habe in marktorientierten Unternehmen nichts erfahren, was der Dankbarkeit nahekommt, die man erleben kann, wenn man jemand anderem dabei geholfen hat, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ich habe auch noch nie in einem Job so viel Herzlichkeit gespürt wie dort. Natürlich auch andere Emotionen – manche sind zum Beispiel enttäuscht, dass sie nicht im SÖB bleiben können. Man kommt auch mit Lebensrealitäten in Kontakt, die wesentlich weniger komfortabel sind als die eigenen zumeist. Das beeinflusst persönliche Grundhaltungen ungemein. Ich war vor meiner Zeit im R.U.S.Z kein besonders demütiger Mensch, meinte eher, jeder wäre seines Glückes Schmied. Die Begegnung mit Menschen, die genau Null für die schwierige Situation konnten, in der sie sich gerade befanden, hat das geändert. In Wirklichkeit war man, wenn man es gut getroffen hat, oft einfach nicht mehr als zur richtigen Zeit am richtigen Platz und hat darüber hinaus einfach nur kein Pech gehabt. Ich hatte im R.U.S.Z viel Gelegenheit, zu lernen und das hat mir auch wirklich gut getan für das spätere Leben. Wenn man sich nicht sicher ist, ob eine Arbeit als Schlüsselkraft in einem SÖB das richtige wäre, dann sollte man es auf jeden Fall zumindest probieren.
Worauf man sich jedenfalls einstellen muss, ist, dass sich sehr grundlegende Rahmenbedingungen sehr rasch ändern können. Ich meine damit in erster Linie Zielgruppen, also der Personenkreis, aus dem die Transitarbeitskräfte kommen. Die werden vom Arbeitsmarktservice vorgegeben, das mit seinen Vorgaben wiederum selbst auf allgemeinere politische oder wirtschaftliche Entwicklungen reagieren muss.
Eine Organisation wie die unsere, deren Hauptgeschäft nicht das Führen sozialökonomischer Betriebe ist, muss damit umgehen können, dass in ihrem SÖB etwas andere Regeln gelten. Das ergibt sich schon daraus, dass die fördernden Institutionen eigene Vorgaben und eigene Erwartungen haben. Wenn das funktioniert, dann profitieren die Schlüsselkräfte des SÖB - in unserem Fall das Demontage- und Recycling-Zentrum D.R.Z - davon, dass sie in ein starkes Unternehmen eingebettet sind, das mehr Sicherheit bietet als ein kleiner Verein. Sollten wir also eines Tages die Utopie verwirklicht haben und es bedarf keiner solcher Einrichtungen mehr, weil alle Menschen im regulären Arbeitsmarkt integriert sind, dann müssen die SÖB-Schlüsselkräfte nicht zwangsläufig einen neuen Arbeitgeber suchen.
Womit man im SÖB selbst einen Umgang finden muss, und zwar auf mehreren Ebenen, ist das ständige Kommen und Gehen der Transitarbeitskräfte. Das ist im Hinblick auf die betriebliche Leistungserstellung unangenehm, weil Arbeitskräfte bald schon wieder weg sind, nachdem sie einmal eingeschult und eingearbeitet sind. Und emotional trennt man sich von denen, die einem ans Herz gewachsen sind, natürlich auch nicht gern. Man sollte nicht vergessen, immer schon den Abschied mitzudenken und ihn auch anzusprechen, wenn man jemanden als Transitarbeitskraft neu im Betrieb aufnimmt. Es ist nämlich genau der Abschied, für den er oder sie überhaupt bei uns ist. Denn der soll ein Erfolg insofern sein, dass er den Beginn einer verbesserten Lebenssituation markiert. Ein Punkt, an dem erkennbar wird, dass eine Chance auf ein selbstbestimmteres Leben wirklich wurde und genutzt werden konnte. Ich muss die Beziehung zu den Menschen, denen wir helfen, von ihrem Ende her denken, an dem sie unsere Hilfe, wenn alles klappt, nicht mehr brauchen. Das ist der Sinn der Sache und wenn ich den nicht vergesse, dann halte ich auch den Trennungsschmerz gut aus.
Geben wird es den Schmerz auf jeden Fall. Was ihn abfedert, ist, den Sinn und Zweck der Beziehung von Beginn weg im Auge zu behalten. Und es hilft weiters, wenn der Kontakt nicht völlig abreißt, sodass man mitkriegt, wie sich die eigenen Bemühungen im weiteren beruflichen und privaten Leben der Menschen positiv auswirken. Ähnlich wie bei den eigenen Kindern. Drei Kinder sind über einen Zeitraum von dreißig Jahren bei meiner Frau und mir daheim großgeworden und eines nach dem anderen ausziehen zu sehen, war hart. Aber wenn ich erlebe, dass es ihnen gut geht, dass unsere Erziehung Früchte trägt, dass ich mir keine Sorgen machen muss, weil sie stabile Menschen mit einer tollen Wertehaltung sind, dann verschmerze ich das und freue mich, wenn ich sie nur wenige Male im Jahr sehe. Ich glaube, dass das auch in einem SÖB eine gute Idee ist, in einer institutionalisierten Form ab und zu die ehemaligen Transitarbeitskräfte einzuladen, um mehr von deren weiteren Lebenswegen mitzubekommen.
Neben Trennungen erhält man als Schlüsselkraft in Form von Enttäuschungen viele weitere Gelegenheiten zu persönlichem Wachstum. Denn natürlich klappt auch vieles nicht oder es gibt nach anfänglichen Erfolgen wieder Rückschläge. Die relevante Frage dabei ist, was eigentlich für mich der Anlass ist, enttäuscht zu sein, wenn jemand anderer etwas nicht schafft, was er meiner Meinung, Erwartung oder Hoffnung nach hätte schaffen sollen. Oder anders gesagt gilt es, den eigenen Erfolg nicht mit dem Erfolg eines anderen zu verwechseln.
Gut aufpassen muss man auch darauf, dass die Rahmenbedingungen für die Transitarbeitskräfte im SÖB nicht zu realitätsfern im Vergleich mit dem ersten Arbeitsmarkt gestaltet werden. Das Fördern, Unterstützen und Entgegenkommen ist natürlich Bestandteil der Grundidee solcher Einrichtungen. Aber man darf es nicht übertreiben, sonst will niemand mehr den SÖB jemals verlassen.
Eine Schwierigkeit bei sozialökonomischen Betrieben und im Sozialbereich allgemein sehe ich darin, dass es nicht so einfach ist, besondere Leistungen zu honorieren. Das liegt zum einen an den Kollektivverträgen und zum anderen daran, dass diese von den fördernden Institutionen als Grundlage für die Förderhöhe herangezogen werden. Das macht es schwieriger, besonders leistungsorientierte Menschen aus der Privatwirtschaft in den Sozialbereich zu holen. Dass das Arbeitsmarktservice Prämien für Schlüsselkräfte für besondere Erfolge bei der Vermittlung von Transitarbeitskräften in den regulären Arbeitsmarkt fördert, ist vor diesem Hintergrund ein ausgezeichneter Ansatz.
Ich persönlich versuche immer noch, mich im Hinblick auf die Unterstützung, die ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geben kann, weiterzuentwickeln. Mein Ideal ist, eine Strategie vorzugeben, auf die Fachkompetenz in den Bereichen und Abteilungen zu vertrauen und mich aus Entscheidungsfindungsprozessen so weit wie möglich herauszuhalten. Ab einer gewissen Tragweite, die eine Entscheidung hat, möchte ich natürlich schon vor Umsetzung gefragt werden. Nicht zuletzt deshalb, damit ich meinen Leuten dann den Rücken freihalten kann, wenn etwas schiefgeht.
Fotos: VHS, D.R.Z
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Begriffe
Schlüsselkräfte: In SÖB (sozialökonomische Betriebe) und GBP (gemeinnützige Beschäftigungsprojekte) fix Beschäftigte wie Fachanleitungspersonal, Coaches etc.
Transitarbeitskräfte: Menschen, die nach vorheriger Arbeitslosigkeit auf befristeten (Transit-)Arbeitsplätzen in einem SÖB oder GBP beschäftigt sind. Mit dieser Arbeit einher geht ein Angebot an Unterstützung (Qualifizierung, Beratung etc.), das einen (Wieder-)Anschluss an den Arbeitsmarkt fördert.