Anita Halhammer ist Fachanleiterin im sozialökonomischen Betrieb (SÖB) Wörkerei. Sie liebt ihren Beruf und das ist auch unverkennbar, wenn man mit ihr darüber spricht. Im Interview mit Nuzzes erzählt sie aus ihrer langjährigen Praxis.
Ich habe die Modeschule in Wien Hetzendorf absolviert und danach brancheneinschlägig gearbeitet. Nach meiner Babypause wollte ich mehr mit Menschen arbeiten und bin über eine Zeitungsannonce auf das Vorläuferprojekt des SÖB, in dem ich heute noch arbeite, gestoßen. Das war 2004 und mein erster Kontakt mit der Welt solcher Projekte. Davor hatte ich mich damit überhaupt nicht beschäftigt.
Zielgruppe waren damals wie auch heute wieder ganz junge Menschen. Dazwischen gab es aber häufig Veränderungen. Eine Zeit lang lag der Schwerpunkt auf über 50-Jährigen und längere Zeit gab es bezüglich des Alters gar keine Vorgaben. In den Gruppen waren immer Männer und Frauen gemischt, meist halbe-halbe, das hat sich gut bewährt.
Meine Arbeit macht mir nach all den Jahren unverändert sehr viel Freude. Ich gebe gerne Wissen an andere weiter und mag es, mit Menschen zu arbeiten und sie zu motivieren. Zuletzt ist als weiterer interessanter Aspekt dazugekommen, dass unsere Transitarbeitskräfte am Anfang ihres Berufslebens stehen und bei mir dessen Ende schön langsam näherrückt.
Enttäuschungen habe ich wenige erlebt, das liegt aber wohl auch daran, dass mich im beruflichen Kontext wenig wirklich persönlich treffen kann. Wir haben es schließlich mit Menschen zu tun und da lässt sich ohnehin nichts erzwingen. Man kann Vorschläge machen, Hilfestellungen anbieten und hoffen, dass sie angenommen werden. In den meisten Fällen funktioniert das dann ja auch. Sehr traurige Momente waren leider ein paar Todesfälle unter unseren Transitarbeitskräften, bei denen Drogen eine Rolle gespielt haben. Das hat mich jedes Mal sehr betroffen und auch nachdenklich gemacht.
Bei der schwankenden Produktivität unserer Belegschaft muss man bei der Planung ganz, ganz viel Luft lassen und keinesfalls dem Kunden zu viel versprechen. Wir sind diesbezüglich der Kundschaft gegenüber auch sehr offen und sagen von Anfang an, was unsere Möglichkeiten und Schwächen sind und dass auch einmal etwas schief gehen kann. Es hat aber noch keinen Fall gegeben, in dem wir einen Auftrag nicht erfüllt hätten. Wir sagen aber auch den Transitarbeitskräften, dass die Arbeit erledigt werden muss, weil ein Kunde darauf wartet und auch dafür bezahlt. Wir machen keinen Druck und geben auch die Verantwortung nicht ab, aber wissen sollen sie es schon.
Natürlich kann man sich nur sehr eingeschränkt aussuchen, wer bei einem arbeitet. Aber es sind wirklich immer zumindest ein paar darunter, die handwerklich begabt sind. Die machen dann den Großteil der herausfordernderen Arbeiten, während die anderen für vorbereitende und logistische Tätigkeiten eingeteilt werden - Zuschneiden, Waschen, Verpacken, Zählen, Ausstopfen und so weiter. Man glaubt aber gar nicht, was jemand nicht alles lernen kann, wenn man dahinter bleibt und die Person aus welchem Grund auch immer motiviert ist, mitzumachen.
Es gibt schon Diskrepanzen bei der Eignung der Leute, wir können nicht durchwegs einwandfreie Qualität verlangen. Wenn zum Beispiel beim Zuschnitt zwei, drei Millimeter fehlen, muss man halt beim Nähen ein bisschen jonglieren. Das war auch etwas, das ich lernen musste, dass nicht immer alles perfekt ist. Das Schöne ist dafür, dass alle mitarbeiten können. Das ist für mich ein Wert, den ich wohl aus meiner Kindheit mitbekommen habe und den ich im SÖB auch verwirkliche.
Unerlässlich für meine Arbeit sind Geduld, Gelassenheit und die Fähigkeit, sich abgrenzen zu können. Abgrenzen heißt, zu wissen, dass nichts von dem, was die Transitarbeitskräfte bei uns präsentieren, etwas mit mir persönlich zu tun hat. Wie sie sich verhalten, hat mit ihnen zu tun und nicht mit mir. Eigentlich gilt das aber überall anderswo im Berufsleben auch. Es ist eine Arbeitsbeziehung und ich gebe mein Bestes.
Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten ist die zentrale Aufgabe von Projekten wie dem unseren. Wir haben dafür als hervorragendes Mittel die handwerkliche Tätigkeit und dass ein Produkt entsteht. Das gibt sehr viel Selbstvertrauen, gerade wenn jemand am Anfang unsicher war oder meinte, das überhaupt nicht zu können. Oft vergeht dann gar nicht viel Zeit, eine Woche vielleicht, bis sie eine einfache Tasche nähen können und wir können dann sagen, schau, was du erreichen kannst, wenn du nur dranbleibst. Da steckt auch die Botschaft „nur du kannst das“ drin, denn wir können etwas vormachen und zeigen, tun muss es der andere selbst. Im besten Fall, der durchaus immer wieder vorkommt, wird das fertige Stück kurze Zeit später gekauft und der Gesichtsausdruck, wenn wir das rückmelden, sagt dann alles.
Kollegiales Feedback und regelmäßige Teamsupervision sind wichtige Ressourcen in meiner Arbeit. Eine unverzichtbare Kraftquelle allerdings ist Wertschätzung von der Führungsebene. Es ist wichtig, dass gesehen und anerkannt wird, was jeder Einzelne macht und dass dies auch ausgesprochen wird.
Für die betriebliche Leistungserstellung ist es entscheidend, sich auf etwas zu spezialisieren, das auch mit ständig wechselndem Transitpersonal funktioniert. Bei uns sind das Großaufträge, bei denen wir ein bestimmtes Modell in großer Stückzahl fertigen. Das ist unser Hauptgeschäft. Zusätzlich dazu haben wir die Sachen, die wir im Shop verkaufen und auch Individualaufträge. Gerade jetzt zum Beispiel haben wir für einen Kongress in vier Monaten 3.500 Taschen genäht. Das war genau das Richtige für uns, ein recht einfaches Modell, für das man nicht viel Material zukaufen musste. Das Hauptmaterial, die gebrauchten Werbeplanen, bekommen wir ja gespendet.
Verkauf und Vermittlung sind für mich zwei gleich wichtige Ziele. Als Fachanleiterin habe ich den Verkauf stärker im Fokus, weil wir da ja auch Vorgaben haben, aber natürlich freuen wir uns genauso über jede gelungene Vermittlung.
Vermeiden sollte man es, die Leute von Anfang an zu überfordern oder ihnen das Gefühl zu geben, nicht zu genügen. Dann würden sie bald wieder abspringen. Schön ist es, wenn wir es schaffen, die Gruppe gleichsam persönlich ins Boot zu holen, wenn ein Gemeinschaftsgefühl entsteht und die Arbeit auch für den Betrieb gemacht wird und vielleicht auch für den Vorgesetzten, der einem sympathisch ist. Wir haben immer wieder nett zusammengewürfelte Gruppen, wo es auch viel Spaß gibt. In die Arbeit gehen ist nun einmal ein soziales Event und das merken wir hier auch sehr stark. Da gibt es dann schon welche, die sagen, ich will gar nicht heimgehen, weil da wartet niemand auf mich. Hier habe ich jemanden, mit dem ich reden kann, der sich um mich kümmert. Jede Person fordert das Kümmern anders ein. Die einen sind sehr auffällig und brauchen viel Aufmerksamkeit, andere sind ganz freundlich und anschmiegsam – jeder hat seine eigene Art, sich bemerkbar zu machen. Wir schauen darauf, eine positive Grundstimmung im Betrieb zu haben, eine Atmosphäre der Wertschätzung und manche blühen dadurch extrem auf. Manche wollen uns überhaupt nicht mehr verlassen, was halt aber nicht geht. Da gibt es dann viel Gesprächsbedarf, wofür wir uns auch die Zeit nehmen. Ich schätze, dass rund 60 Prozent meiner Arbeitszeit auf das Kümmern um die Transitarbeitskräfte entfällt – also auf Gespräche im Zusammenhang mit ihrer Entwicklung, über zu bewältigende Probleme und auf die persönliche Anleitung am Arbeitsplatz. Obwohl natürlich auch unsere Coaches und Kollegen der Sozialpädagogik sich der Probleme annehmen, wir stimmen uns da in regelmäßigen Teambesprechungen ab.
An sich finde ich bezüglich des Alters gemischte Gruppen am besten, wegen der unterschiedlichen Lebensperspektiven, die dann zusammentreffen und weil man voneinander viel lernen kann. Insbesondere bei jungen Erwachsenen zeigt sich ein großer Vorteil von sozialökonomischen Betrieben als Interventionsform, nämlich die Arbeit im Betrieb. Die hat man zum Beispiel in Beratungsstellen ja nicht. Und zwar richtige Arbeit, die gebraucht wird, für die bezahlt wird, keine Beschäftigungstherapie.
Gerade für junge Menschen ist diese tägliche Routine wichtig, das Herkommen, Leute treffen, sich besprechen, die eigene Entwicklung wahrnehmen, Pläne machen. Seit einigen Jahren beobachten wir vermehrt, dass unsere Transitarbeitskräfte keine zehn Minuten ohne Handy sein können. Sie haben Angst, nicht erreichbar zu sein oder etwas zu verpassen. Wir besprechen ihre Ängste, schlagen Lösungen vor und trainieren mit ihnen, eine handyfreie Zeit auszuhalten. Ein schönes Beispiel, wie sie bei uns lernen, für einen Arbeitsplatz fit zu werden.
Ich habe in all den Jahren in der Fachanleitung so viele schöne Begegnungen gehabt, viele Menschen aus verschiedenen Kulturen kennengelernt und einfach auch viele schöne Tage verbracht. Ich kann diese Arbeit nur rundheraus empfehlen!
Fotos: Erich Schuster
Link zur Wörkerei
Begriff
Transitarbeitskräfte: Menschen, die nach vorheriger Arbeitslosigkeit auf befristeten (Transit-)Arbeitsplätzen in einem SÖB oder GBP (gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt) beschäftigt sind. Mit dieser Arbeit einher geht ein Angebot an Unterstützung (Qualifizierung, Beratung etc.), das einen (Wieder-)Anschluss an den Arbeitsmarkt fördert.